Burgdorfer StadtMAGAZIN Nr. 03 - Herbst 2021

13 «Seilerinspital» in Bern die letzte Zuflucht insbeson- dere für mittellose Schwerkranke aus dem ganzen Emmental war. Die beiden Burgdorfer «Spitäler» wurden indes um 1730 organisatorisch zusammenge- legt und später anderen Zwecken zugeführt. Dafür entstand an der Emmentalstrasse ein neues Burger- spital, das nicht nur Kranke, sondern vor allem auch Pensionäre und verarmte Menschen aufnahm. Zur Unterstützung des «öffentlichen» Gesundheits- systems betrieb die Gemeinnützige Gesellschaft Burgdorf bereits um 1830 eine sogenannte «Kranken- stube». Den vorausschauenden Mitgliedern der Ge- sellschaft war aber rasch bewusst, dass solche eher rudimentären «Notfallstuben» mit nur wenig medizi- nischer Kompetenz den Anforderungen bald nicht mehr genügen würden. So be- schloss die Gesellschaft eine eigene Krankenanstalt als medizinische Einrichtung zu realisieren. Die Kran- kenanstalt konnte schliesslich 1858 in der Oberstadt mit 15 Betten eröff- net werden. Nach dem grossen Brand von 1865 wurde der Bau erweitert, so dass sogar gegen 50 Betten zur Verfügung standen. Geleitet wurde die Anstalt von loka- len Ärzten, während die Pflege von Diakonissinnen aus Riehen übernommen wurde. Dies war der erste Schritt auf demWeg zu einem echten Spital mit medi- zinischer Grundversorgung. Die Krankenanstalt blieb bis in die 1870er Jahre die wichtigste medizinische Einrichtung der Region. Die Burgdorfer Bevölkerung wuchs rasant in jenen Jahren. Und die Medizin machte grosse Fortschritte. Bald war offensichtlich, dass eine grössere, regional ausgerichtete Institution benötigt wird. Das Engage- ment des Ökonomischen und Gemeinnützigen Vereins des Amtes Burgdorf bildete den Grundstein für das heutige Spital Emmental. Fürsprecher J. A. Mor- genthaler erklärte nämlich am 21. Mai 1876 an der Hauptversammlung des Ökonomischen und Gemein- nützigen Vereins Burgdorf: «Das Bedürfnis nach einer Bezirkskrankenanstalt ist heute fühlbarer denn je, weil das Inselspital, das früher die meisten Kranken aufnehmen konnte, solche vielfach wegen Platzman- gel abweisen muss» und weil «kranke Dienstboten bei ihren Meisterleuten nicht mehr durchgehend gute Verpflegung finden, wie dies früher allgemein der Fall war.» Auch die wachsende Zahl der Fabrikarbeiter benötige unbedingt eine bessere Krankenpflege. Die beiden gemeinnützigen Gesellschaften taten sich zusammen, um eine Bezirkskrankenanstalt ins Leben zu rufen, welche am heutigen Standort des Spitals an der Oberburgstrasse gebaut und 1897 mit immerhin 78 zur Verfügung stehenden Betten eröffnet wurde. Es folgten zahlreiche Erweiterungen, Neu- und Um- bauten sowie organisatorische Veränderungen bis hin zum heutigen hochmodernen Regionalspital, das als Herzstück der medizinischen Grundversorgung des Emmentals gilt. Erste Kranken- und Hilfskassen entstehen Bis weit ins 19. Jahrhundert war die Pflege kranker Menschen weitgehend Sache der Familie, die auch für Arzthonorare oder Arzneien aufkommen musste. Bei schweren Krankheitsfällen leiste- ten allenfalls die Heimatgemeinden Unterstützung. Lange konnten sich deshalb nur wohlhabende Kreise eine professionelle medizinische Versorgung leisten. Durch den Aus- bau stationärer medizinischer Ver- sorgung, wie sie in der Burgdorfer Krankenanstalt und später im Be- zirksspital möglich wurden, stiegen die Behandlungskosten exponenti- ell an. Um diese Errungenschaften möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen, entstanden auf privater Basis Kranken- und Hilfskassen. Die Gemein- nützige Gesellschaft etwa betrieb eine «Hülfskasse für Dienstboten und Arbeiter». Einzelne Fabrikbetriebe führten Fabrikkrankenkassen, in welche Arbeitgeber und Arbeitnehmer solidarisch einbezahlten, um damit Lohnausfälle bei Krankheit wenigstens teilsweise zu überbrücken. Bis zur Krankenkasse wie wir sie heute kennen, war es noch ein langer Weg. Krankheit führte nicht selten zu Verarmung und damit zu Sozialfällen, die von der Gemeinde zu tragen waren. Quellen • Zur medizinischen Versorgung der Berner Landschaft im 18. Jahrhundert, Marta Meyer-Salzmann, 1981 • 200 Jahre Gemeinnützige Gesellschaft von Burgdorf, Michael Ritter, im Burgdorfer Jahrbuch 2021 • Die Spitalversorgung im Emmental, Marta Meyer-Salzmann, 1980 • Historisches Lexikon der Schweiz HLS «Die Gründung einer Krankenanstalt ist ein absolutes Bedürfnis im Blick auf die zahlreiche Fabrikbevölkerung im Amte Burgdorf» Fürsprecher Morgenthaler, 1876

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