Burgdorfer StadtMAGAZIN Nr. 03 - Herbst 2021

11 Hausmittel und Gebete Die Konsultation eines Heilpraktikers war für den grössten Teil der Bevölkerung die seltene Ausnahme. Denn die Kranken wurden in der Regel zu Hause von Familienmitgliedern betreut und mit damals gängiger Hausmedizin behandelt. Viele der angewandten Heil- mittel bestanden aus Kräutern, Beeren, Wurzeln und Rinden. Daraus wurden am heimischen Herd Salben, Tees, Breie oder Bäder bereitet. Doch auch die Anwen- dung von Tierbestandteilen, Fetten, Exkrementen und der Glaube an die Kraft der Mondphasen fehlten nicht. Das Wissen über die Heilwirkungen dieser «Arzneien» stammte aus einigen wenigen handschriftlichen Re- zeptsammlungen, Erfahrungen der Klostermedizin oder ganz einfach aus überlieferter Volksmedizin, die im Bewusstsein der Menschen verankert war. Diese Volksmedizin stand in enger Verbindung mit religiösen Überzeugungen und viel Aberglauben. Grundsätzlich vertraute man dem göttlichen Willen wesentlich mehr als irgendwelchen medizinisch gebildeten Fachleuten. So rief man bis weit ins 17. Jahrhundert bei schlimmer Erkrankung lieber den Pfarrer zum gemeinsamen Gebet als den gelehrten Arzt. Denn Gottes Willen durch irdisches Wissen manipulieren zu wollen galt als Sünde, die einen geradewegs ins Verderben stürzen müsse. Diese Vorherrschaft der Theologie in enschaft medizinischen Angelegenheiten schwächte sich erst mit dem Aufkommen eines humanistischen Weltbildes ab, das die uneingeschränkte kirchliche Autorität grundsätzlich in Frage stellte und stattdessen den freien Willen des Individuums anerkannte. Die Bedeutung der Apotheken Wer die Zutaten für die häuslichen Heilmittel nicht sammeln oder mit Nachbarn austauschen konnte, fand in der Apotheke alles was es brauchte. In Burg- dorf gab es bereits gegen Ende des 17. Jahrhunderts zwei Apotheken und um 1730 soll es schon deren drei gegeben haben. Eine erstaunliche Anzahl, wenn man bedenkt, dass die Stadt dazumal rund 1‘000 Einwohner zählte. Die erste hiesige Apotheke ging bezeichnen- derweise aus einer Metallwerkstatt hervor. Diese Werkstätten waren seit jeher experimentierfreudig und der Alchemie zugewandt. Johann Ulrich Grimm hatte hier metallene Gürtelschnallen hergestellt, bevor er die Grosse Apotheke gründete. Die Apotheken stellten Arzneien nach gewünschten Rezepten her, boten aber auch fertige Arzneien an. Inspiriert von immer besser zugänglichem Fachwis- sen und vom aufkommenden internationalen Handel gelangten zunehmend auch «exotische» Pflanzen in die populären Arzneien. So wurde beispielsweise die aus Südamerika eingeführte Chinarinde wichtiger Bestandteil des berühmten Diessbachbalsam. Das Rezept stammte angeblich von ausländischen Hof­ apothekern und etablierte sich als emmentalische Spezialität. > Die Bezirkskrankenanstalt am heutigen Standort des Spitals Foto: Friedrich Eymann, um 1902

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