Burgdorfer StadtMAGAZIN Nr. 02 - Sommer 2021

10 Der Siegeszug der elektrischen Kraft Die traditionelle Energieversorgung, insbesondere über Holz als primärem Energieträger, geriet in den Wachstumsphasen des 19. Jahrhunderts zunehmend unter Druck. Steinkohle wurde vielerorts zum Ener- gieträger, der unerschöpfliches Potenzial, wenngleich aus dem Ausland importiert, versprach. Die aufkom- mende Eisenbahn erlaubte den Transport grosser Mengen Steinkohle über viele Kilometer aus den deut- schen und französischen Kohlerevieren. Mit den Erfindungen rund um die Nutzung und Verbreitung von elektrischem Strom für Licht und Kraft trat eine radikal neue Energieversorgung auf den Plan. Man hatte das dyna- moelektrische Prinzip entdeckt, mit dem Bewegungsenergie (z.B. von Wasser- oder Dampf- turbinen) in elektrischen Strom gewandelt werden konnte. Auch in Burgdorf begann man sich mit der Elektrizität zu beschäfti- gen. Dies nicht zuletzt dank der pionierhaften Burgdorf-Thun- Bahn, die 1899 als erste elektrische Vollbahn Europas ihren Betrieb aufnahm. Der Strom dafür wurde vom Kander-Kraftwerk bezogen, das in eben jenen Jahren von der Badener Motor AG gebaut wurde. Ein glühender Vertreter der Elektrizität war Dr. Emil Blattner, seines Zeichens Professor für Elektrotech- nik am Technikum und Gemeinderat. Am 5. November 1897 hielt er einen vielbeachteten Vortrag in der Ca- sino-Versammlung, in dem er Burgdorf eindringlich aufforderte, die Frage der Versorgung der Stadt mit Elektrizität endlich an die Hand zu nehmen, um nicht den wirtschaftlichen Anschluss zu verpassen. Zwei Möglichkeiten standen zur Diskussion: Ein eigenes Elektrizitätswerk an der Emme oder den Strom von einem auswärtigen grossen Werk, z.B. vom Kander- Werk in Spiez, zu beziehen. Zur eigenen Strompro- duktion mit einemWasserkraftwerk an der Emme gab es schon detaillierte Studien. Es hätte gemäss Be- rechnungen eine Kraft von 500 PS geliefert. Doch viele Gemeinden und Private stellten sich dem Vorha- ben in den Weg. Man kannte die Launen der Emme und traute der Sache nicht so recht. Blieb also der Bezug der elektrischen Energie von einem auswärti- gen Werk. Dabei bot sich natürlich eine Abnahme von den Kander-Werken an, die für die Bahn ohnehin eine rund 45 Kilometer lange Übertragungsleitung nach Burgdorf ziehen mussten. Nach langen Verhandlungen schloss Burgdorf einen Vertrag mit der Motor AG der Herren Brown & Boveri ab und bezog fortan elektrische Energie aus den Kan- der-Werken. Dafür wurden drei zusätzliche Drähte auf den Leitungsmasten für die Bahn installiert. Am 22. September 1899 leuchteten erstmals elektrische Lampen bei den Abonnenten in der Oberstadt. Eine Woche später auch in der Unterstadt. Die Bevölkerung indes war anfänglich gegen- über der neuen unsichtbaren Energie skeptisch und zu- rückhaltend. Es gab zu Beginn weit weniger private Abon- nenten als erhofft, schliess- lich hatte man nur ein Jahr zuvor bereits das Gaswerk übernommen. Dennoch be- willigte die Gemeinde das Projekt zur Errichtung der notwenigen Umformerstation und die Erstellung eines Lei- tungsnetzes. Zu Beginn waren dies 7,8 km Freileitung und 1,2 km Kabelleitungen. Wichtigste Abnehmer in den Anfängen der neuen Energie waren die Bierbrauerei (Löwenbräu), das Hotel Guggisberg, die noch junge Aebi Maschinenfabrik und die Metallgiesserei Stauf- «Die Erfahrung lehrt, dass für die industrielle Entwicklung von Gemeinwesen zwei Haupt- faktoren heute unerlässlich sind, nämlich gute Bahnver- bindungen und billige und ausreichende Betriebskraft. Mit erstem sind wir versorgt, letztere fehlt uns gänzlich.» Aus «Berner Volksfreund», vom 13. Nov. 1897 anlässlich des Vortrags von Emil Blattner Bild: Archiv Localnet Arbeiter im Gaswerk 1925. Stadtgas wurde durch Vergasung von Kohle in Kammeröfen hergestellt. Es gilt als sehr giftig

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