Burgdorfer StadtMAGAZIN Nr. 01 - Frühling 2021

8 Die Burgerliche Knaben- und Mädchenschule in der Oberstadt blieb noch einige Jahrzehnte als private Ins- titution bestehen und entwickelte sich dann zu Progymnasium, Mädchensekun- darschule und Gymnasium der öffentlichen Hand. Die Hintersas- senschule in der Unterstadt wurde um 1830 zur Primarschule der Einwohnergemeinde Burg- dorf. Doch zuvor erlebte sie noch einige Turbulenzen, als nämlich ein gewisser Heinrich Pestalozzi die Burgdorfer Schulszene betrat. Das Gastspiel des Heinrich Pestalozzi Pestalozzi kam 1799 auf Weisung der helvetischen Regierung in Bern nach Burgdorf. Der pädagogisch en- gagierte, helvetische Beamte Rudolf Johann Fischer hatte den Auftrag das Schulwesen neu zu organisie- ren. Dies kam nicht von ungefähr. Das Gedankengut der Französischen Revolution, das Napoleon mit seinen Besetzungen auch auf Berner Territorium ins- tallierte, verlangte nach grundlegenden gesellschaft- lichen Veränderungen, die auch die Bildung betraf. Pestalozzi und seine neuen Methoden sollten sich des- halb in der «bescheidenen» Burgdorfer Elementar- schule (Hintersassenschule) in der Praxis bewähren, bevor man ihn mit grösseren pädagogischen Aufgaben betrauen könne. So trafen im Schulhaus an der Kornhausgasse zwei Welten aufeinander. Schuhmacher Dysli war alles an- dere als erfreut, dass er die Schulstube mit einem «Kollegen» teilen musste, der neben ihm die Hälfte seiner 73 Schüler nach einer neuen Methode unter- richtete. Statt auf das rezitieren religiöser Texte setzte Pestalozzi auf anschaulichen Unterricht und Aufmerk- samkeit gegenüber dem Kind. Das roch für Dysli und weite Teile der Bevölkerung nach Gefahr für den Glau- ben. Und schon vor Ablauf seiner Probezeit musste sich Pestalozzi aus dem Schulhaus in der Unterstadt zurückziehen. Einflussreiche und einsichtige Burger sorgten aber dafür, dass er stattdessen eine Klasse der Lehrgotte Stähli in der Burgerlichen Schule am Kirchbühl übernehmen konnte. Die städtische Schulkommission stellte ihm nach 8 Monaten des Unterrichtens ein hervorragendes Zeug- nis aus. Seine Lehrart habe sich bewährt und die Fort- schritte der Kinder hätten einen bisher ungewohnten Grad erreicht. Ende Oktober 1800 kündigte Pestalozzi schliesslich die Errichtung eines Schullehrerseminars mit angeschlossenem Internat in Burgdorf an, das un- mittelbar danach im Schloss Burgdorf mit Geldern der helvetischen Regierung auch eröffnet wurde. So wurde Burgdorf zum na- tionalen Zentrum für Lehrerbildung. Pesta- lozzi stellte Lehrer ein, die seine Erziehungside- ale teilten. Das Institut wurde zum pädagogi- schen Labor und liess ihn zum bedeutenden Ver- künder einer neuen Er- ziehung aufsteigen. 1803 jedoch wurde Schloss Burgdorf zum Amtssitz des Berner Oberamtmanns erklärt. Der umstrittene Pes- talozzi musste das Feld räumen und verliess Burgdorf. Im Zuge der politischen Veränderungen in den 1830er Jahren ging auch die Schulbildung in den Verantwor- tungsbereich der Einwohnergemeinden über. In den entstehenden Kantonsverfassungen wurde die Schul- pflicht verankert. Erst jetzt wurde eine breite Alphabe- tisierung über alle sozialen Schichten hinweg und die Aufteilung in Kindergarten, Primarschule und Sekun- darschule möglich. Die Anfänge der Berufsschulen Die wirtschaftliche Dynamik jener Jahrzehnte machte vielen lokalen Handwerkern und Gewerblern zu schaffen. Vor allem das Aufkommen der industriellen Produktion in den Fabriken aber auch die Auswirkun- gen der durch die neue Verfassung erst ermöglichten «Sprache ohne Anschauung ist nicht denkbar, Anschauung in der Natur ohne Sprache nicht fruchtbar, und Anschauung und Sprache ohne Liebe führt in der Natur nicht zu dem, was die Ausbildung unseres Geschlechts menschlich macht.» Heinrich Pestalozzi Bild: Burgerarchiv Burgdorf, Foto Bech 100027 In diesem Gebäude an der Kornhausgasse war einst die Hintersassenschule untergebracht

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