Burgdorfer StadtMAGAZIN Nr. 03 - Herbst 2019

7 zier» unter der Stadtbevölkerung. Sie hiessen Fank- hauser oder Trechsel und gehörten der vermögenden und politisch mächtigen Oberschicht an. Nur sie waren mit ihren finanziellen Mitteln und Verbindungen in der Lage, den Handel mit Leinen auf- zubauen und über die Landes- grenzen hinaus zu betreiben. Produktion im Verlags­ system Das Verlagssystem war der Schlüssel zum Wohlstand für (fast) alle. Die sogenannten Tuch- herren spannten nämlich die Landbevölkerung für die Produk- tion ihrer Waren ein. Flachs und Hanf wurde in Heimarbeit gespon- nen und gewoben, was der bäuer- lichen Bevölkerung des ganzen Emmentals willkommene Einkünfte und überdurch- schnittlichen Wohlstand bescherte. Das benötigte Ma- terial wurde von den Tuchherren in regelmässigen Abständen, meist 14-täglich, angeliefert. Die in Heim- arbeit gefertigten Halb- oder Fertigfabrikate liessen sie über Mittelsmänner abholen. Den Verkauf ihrer Waren – vornehmlich ins benachbarte Ausland und später bis nach Russland, Nordafrika und Amerika – wickelten sie dann von ihren herrschaftlichen Ge- schäftssitzen in der Stadt aus ab. So residierten etwa die Fankhausers im Grosshaus, jenem stattlichen Ge- bäude, das später zum Langlois-Haus wurde und heute die Buchhandlung am Kronenplatz beheimatet. Der Textilhandel war schon im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts für die ganze Region von enormer Bedeutung und ebnete auch für weitere Handelspro- dukte, vor allem für den Emmentaler Käse, die Export- kanäle in alle Welt. In einem Verzeichnis der wichtigsten Handelshäuser des Kantons Bern von 1810 sind in Burgdorf sage und schreibe 7 Häuser aufge- führt, die mit Textilien geschäfteten. Nebst der Familie Fankhauser waren die Familien Dürig, Dequervain, Grimm, Bury, Kupferschmid und Schnell aktiv. Doch die Branche wurde insgesamt etwas träge. Und die Veränderungen, die sich in anderen Ländern längst bemerkbar machten, blieben in unserer Gegend noch weitgehend unbeachtet. Billige Baumwolle als Konkurrent Das Aufkommen der Baum- wolle und die zunehmende Industrialisierung der Pro- duktion forderte von der ein- heimischen Textilbranche ein radikales Umdenken, In- novation und neue Risiko­ bereitschaft. Die traditionelle Heimarbeit hatte nämlich ausgedient und musste durch einen me- chanisierten Fabrikbetrieb abgelöst werden. Die Em- mentaler liefen Gefahr den technischen Fortschritt zu verschlafen. Ab den 1820er Jahren entstanden auch in unserer Region allmählich erste Fabriken für ver- schiedenste Produkte. Mit der neuen Kantonsver­ fassung von 1831 war es Unternehmern nun endlich möglich, ihre Geschäftsideen relativ frei und ohne massive Behinderung durch die «Obrigkeit» zu rea- lisieren. «...fast jedermann ernährt sich mit Spinnen, Weben und Verfertigen der Leinwand. Der Zustand der Einwohner des Emmenthals ist so glücklich, daß man nicht wenig Bauern zählt, deren Vermögen sich von 200000 bis 600000 Berner Pfunde erstreckt.» J. C. Fäsi 1768 in «Beschreibung der helve­ tischen Eidgenossenschaft» hlstand Bild links: Die Schafroth & Cie Kunstwollfabrik, fotografiert von Walter Mittelholzer in den 1920er Jahren. Bild rechts: Samuel Fankhauser leitete das Handelshaus Fankhauser in dritter Generation. Er war um 1730 auch Burgermeister von Burgdorf, zudem Lotzwilvogt und Grasswilvogt.

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc3MzQ=