Burgdorfer StadtMAGAZIN Nr. 03 - Herbst 2019

25 die Umsetzung des Proporzwahlrechts. Denn tat- sächlich war bis anhin das politische Geschick wei- testgehend in den Händen des Unternehmertums und deren Vertretung in Parteien der «Freisinnigen/Radi- kalen» und der Konservativen. Die- ses faktische Zweiparteiensystem dominierte auch die Burgdorfer Politik über viele Jahrzehnte seit der Demokratisierung, die in der Bernischen Verfassung von 1831 festgeschrieben wurde. Mit ihr wurde zwar die Herrschaft des Pa- triziats, also jener Familien, die seit Generationen regierten, beendet. Die Verfassung schuf aber dadurch noch längst keine Gleichberechti- gung oder eine gerechte Mitsprache der breiten Be- völkerung, sondern die Vorherrschaft jener Schichten, die gebildet und vermögend waren. Die Gemeindewahlen vom 17./18. Januar 1920 Am 17. und 18. Januar 1920 war es dann soweit. An diesem Wochenende sollten die neun Gemeinderäte inklusive Stadtpräsident und der 40-köpfige Stadtrat gewählt werden. Die Stimmberechtigten hatten für die Besetzung des Stadtrats lediglich zwei relevante Lis- ten zur Auswahl: Liste Nr. 1 enthielt die Vertreter der «Sozialdemokratischen Vereinigung» und Liste Nr. 2 itbestimmung die Vertreter des «Bürgerlichen Blocks». Beide Lager hatten also auf Differenzierungen verzichtet, um mit jeweils gebündelten Kräften die grundsätzliche politi- sche Ausrichtung durchsetzen zu können. Entspre- chend plakativ war denn auch die Sicht auf die politischen Lager. Die Linken wurden von ihren Geg- nern gerne mal als Kommunisten und Bolschewiken abgestempelt, während die Bürgerlichen als Reaktio- näre galten, die ihre Macht und Besitz bewahren woll- ten. Beides war natürlich nicht zutreffend. Aber auf politische «Nuancen» war dieser Wahlgang nicht aus- gerichtet. Die beiden Blöcke appellierten denn auch an die Stimmberechtigten, die Listen unverändert ein- zulegen, was auch mehrheitlich gemacht wurde. 18 Sozialdemokraten und 22 Bürgerliche Bei einer Wahlbeteiligung von 86% wurden 22 Kandi- daten der bürgerlichen Liste und 18 Kandidaten der sozialdemokratischen Liste gewählt. Dies war kein unerwartetes Resultat und angesichts der damaligen Zeitepoche und der politischen Stimmung durchaus repräsentativ. Die dominierende bürgerliche Presse wertete das Ergebnis denn auch als Erfolg des bür- gerlichen Blocks und ermahnte die Gewählten auch postwendend, sich bei den Entscheiden im Stadtrat «straff» zu organisieren, um mit gemeinsamer Stimme gegen die Linke zu politisie- ren. Als Wehrmutstropfen wurde hingegen angesehen, dass auf bürgerlicher Seite alle Kandidaten der Gruppe «Handel und Industrie» nicht genügend Stimmen er- halten haben. Und auch die Vertreter der jungen Bau- ern- und Bürgerpartei (BGB) waren in Burgdorf nicht so erfolgreich wie auf nationaler Ebene. Die Gemeinderäte wurden im Gegensatz zum Stadtrat im Majorzprinzip gewählt. Hier zeigte sich nach dem ersten Wahlgang ein anderes Bild. Die 5 bürgerlichen Kandidaten für den Gemeinderat und der Kandidat für das Stadtpräsidium erreichten allesamt das benötigte absolute Mehr und wurden somit auf Anhieb gewählt, während alle Sozialdemokraten an dieser Hürde von 950 Stimmen scheiterten. Sie wurden erst in einem zweiten Wahlgang Ende Januar gewählt. > «Im Grossen und Ganzen dürfen wir im bürgerlichen Lager mit dem Wahlausfall wohl zufrieden sein.» (Aus dem Burgdorfer Tagblatt, nach der Wahl) Burgerarchiv Burgdorf

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